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Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11.09.2004, Nr. 212, S. 13

Menschen und Wirtschaft

Die Nachfahren der Tabakbarone
Mit Zigarren ist die ostwestfälische Stadt Bünde einst reich geworden. Die verbliebenen Hersteller leben noch immer gut in ihrer Nische / Von Ralf Nöcker

Der wohlhabendste Ort des deutschen Kaiserreiches lag zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts in Ostwestfalen: Der Reichtum des Städtchens Bünde gründete sich auf der Zigarre, die dort dank billiger Arbeitskraft in zahlreichen Fabriken und mit viel Heimarbeit gefertigt wurde. Als Deutschlands Zigarrenhauptstadt gilt Bünde immer noch, denn in kleinerem Maßstab existieren einige der damals großen Unternehmen weiterhin. André, Wörmann und Schuster, allesamt immer noch im Besitz der Gründerfamilien, produzieren mit bewährten Verfahren unverdrossen weiter für einen kleinen, aber äußerst unübersichtlichen Markt. Weit mehr als 2000 Zigarren- und Zigarillomarken werden in Deutschland angeboten. Die traditionsbewußten Zigarrenmacher in Bünde leben in friedlicher Koexistenz immer noch gut von ihren Produkten, dennoch ist ihre Zukunft ungewiß. Die EU setzt der Branche nicht nur mit Werbeverboten zu, sondern will nun durchsetzen, daß die Inhaltsstoffe von Zigarren veröffentlicht werden müssen.

Philipp Schuster merkt man die Begeisterung für sein Produkt in jeder Sekunde an. "Die Zigarre hat mit der Zigarette nichts zu tun. Sie bietet ein riesiges Spektrum geschmacklicher Möglichkeiten." Besonders Tabake aus Brasilien haben es ihm angetan: "Das liegt wohl in den Genen", sagt Schuster mit rauchbedingt deutlich baßlastiger Stimme. Schon der Großvater wurde "Brasil-Schuster" genannt, weil er vornehmlich Tabake aus jenem Land verarbeitet hat. Seit Mitte der siebziger Jahre leitet Schuster, der Jura studiert hat und eigentlich Anwalt werden wollte, das Unternehmen nun mit seinem Bruder, einem gelernten Pädagogen. Das Unternehmen aus Bünde produziert für einen unübersichtlichen Markt. Echte Markenartikel mit nennenswerten Marktanteilen gibt es nur wenige und diese im wesentlichen nur unter den Zigarillos, dafür ein schier unüberschaubares Angebot verschiedener Namen und Formate. Allein die Zahl der Marken von aus der Karibik stammenden "Longfillern" - also aus ganzen Tabakblättern gerollten Zigarren - wird auf rund 2000 geschätzt. Hinzu kommt eine Vielzahl deutscher Produktnamen, darunter auch Hausmarken von Tabakhändlern. Moden bestimmen, welche Provenienzen und Tabake gerade besonders gefragt sind. Derzeit sind Zigarren aus der Karibik en vogue. "Dominikanische Republik, Kuba, Honduras, dann kommt lange nichts", sagt Schuster, Die Vorherrschaft der Karibik habe es aber nicht immer gegeben.

Die Stadt in Ostwestfalen ist immer noch eine Hochburg der heute sehr überschaubaren deutschen Zigarrenbranche. Mit August Schuster, Wörmann und Arnold André sind drei der vielleicht zehn Zigarrenhersteller in und um Bünde angesiedelt, und auch das mittlerweile in der Schweiz ansässige Unternehmen Villiger verfügt hier über eine Produktionsstätte. Wörmann und Schuster sind immer noch im Besitz der Gründerfamilien und werden auch von Familienmitgliedern geleitet. André gehört zu 60 Prozent der Familie und zu 40 Prozent dem schwedischen Konzern Swedish Match, Geschäftsführer Hans van den Berg kommt von außerhalb.

Um die Wende vom neunzehnten zum zwanzigsten Jahrhundert war Bünde eine reiche Stadt, auf die damals knapp 4300 Bewohner kamen immerhin zwölf Millionäre. Wie sehr das wirtschaftliche Geschehen in der Stadt zu dieser Zeit von der Tabakindustrie geprägt war, zeigt das damalige Telefonverzeichnis: Unter den 48 Teilnehmern waren 20 Zigarrenfabriken beziehungsweise Tabaklieferanten. Die Zigarrenbarone jener Zeit suchten sich gegenseitig im Pomp ihrer Villen und im Glanz ihrer Feste zu übertreffen. Immer noch legendär sind beispielsweise die "Beach-Parties", die einer der Unternehmer mit Hilfe zweier Fuhrwerke Sand in seinem Garten veranstaltete. Noch heute zeugen die imposanten Bauwerke vom Glanz jener Epoche, von dem ansonsten nicht viel geblieben ist.

Deutschlands einzige

Zigarrenkistenbekleberin

Ein paar Nummern kleiner wird aber auch noch heute produziert. Dabei verfolgt Schuster von allen dreien die vielleicht radikalste Produktstrategie. Die Zigarren und Zigarillos sind allesamt zu 100 Prozent aus Tabak gefertigt, Deckblätter aus sogenannten Tabakfolien (Homogenized Tobacco Leafs, HTL, aus geriebenem Tabak plus Zellulose hergestellter Bandtabak), mit denen maschinell große Stückzahlen von Zigarren gefertigt werden können, kamen und kommen für Schuster aus Geschmacksgründen nicht in Frage. Auch das lukrative Segment aromatisierter Zigarillos mit Pfeifentabakfüllung läßt Schuster links liegen. Ansonsten setzt der Familienbetrieb, der seit 1909 in Bünde Zigarren produziert, auf Autarkie. Vom Einkauf der Tabake bis hin zur Fertigung und zum Bekleben der Zigarrenkisten - Schuster macht alles selbst. Dabei entfalten die Produktionsräume einen schon musealen Charme. Die Zigarren produziert Schuster auf Maschinen, deren Technik sich seit den sechziger Jahren nicht verändert hat oder die sogar aus dieser Zeit stammen. Das Bekleben der Zigarrenkisten erfolgt von Hand, mit Leim und Pinsel, von "Deutschlands wohl einziger Zigarrenkistenbekleberin", wie Schuster betont. Man braucht kein Unternehmensberater zu sein, um überall in der Fertigungsstätte Einspar- und Restrukturierungspotentiale zu entdecken. Aber man merkt auch, daß es um dergleichen hier nicht geht. In der Kette Beschaffung - Produktion - Absatz ist die Produktion ohnehin das vergleichsweise unwichtigste Glied, wenn es um die Herstellung von Qualitätszigarren geht. Große Bedeutung kommt der Beschaffung der Tabake zu. Schließlich gilt es, aus dem Naturprodukt Tabakpflanze mit den entsprechenden Qualitätsschwankungen das Genußmittel Zigarre mit möglichst gleichbleibender Qualität zu fertigen. Dies gelingt in erster Linie über die Mischung der "Filler", also der Einlage. Schuster reist regelmäßig in die Anbaugebiete, um vor Ort Tabake zu prüfen. Aber: "Die endgültige Entscheidung für eine Sorte fällt immer erst zu Hause", betont er. Denn der Geschmack von Tabak hängt auch ab von den jeweiligen klimatischen Gegebenheiten.

Wenn es ans Mischen der Tabake für die Einlage geht, spielen solche objektiven Faktoren keine Rolle mehr. "Die Mischung der Tabake ist eine subjektive Angelegenheit", sagt Peter Wörmann. Der Achtunddreißigjährige leitet das gleichnamige Unternehmen in fünfter Generation. Um vor Ernteausfällen und Hochpreisphasen geschützt zu sein, hält Wörmann stets einen Lagerbestand an Tabaken für Um- und Deckblatt für drei bis sechs Jahre vor. "Betriebswirtschaftlich ist das natürlich Wahnsinn", räumt er ein. Aber so sei es nun einmal, wenn man es mit einem Naturprodukt zu tun habe. "Zumal der Tabak, der hier verarbeitet wird, mindestens drei Jahre alt sein muß." Seit 1890 fertigt die Firma Wörmann Zigarren, bis 1998 in Bünde, jetzt im Nachbarort Rödinghausen. Wörmann hat einige HTL-"Konsumprodukte" zwar noch im Angebot, dies scheint ihm aber irgendwie etwas peinlich zu sein. "Diese Zigarren werden vor allem für ältere Raucher hergestellt und haben wenig Zukunftspotential", betont Wörmann, der sie entsprechend nach und nach aus dem Sortiment streichen möchte, in das sie infolge von Firmenübernahmen überhaupt nur hineingelangt seien. Auch er ist nicht eine Sekunde ohne Zigarre anzutreffen. "Als reinen Genußraucher kann ich mich wohl nicht bezeichnen", sagt Wörmann. Auch bei ihm scheiterte der Versuch, sich dem familieneigenen Zigarrengeschäft mittels fachfremden Studiums - in Wörmanns Falle Maschinenbau - zu entziehen. Eine Krankheit des Vaters erforderte es, daß er zeitweise die Geschäfte übernahm, was er sehr intensiv tat. "Ich habe den Laden erst einmal gründlich umgekrempelt", sagt Wörmann, was zu einigen Schwierigkeiten bei der Rückkehr des Seniors geführt habe. Die Mutter mußte moderieren.

Schließlich einigte sich die Familie auf Arbeitsteilung - der Vater trug die Verantwortung für technische Fragen, der Sohn für das Kaufmännische -, bis Wörmann junior das Ruder 1997 komplett übernahm. Rund zwölf Millionen Zigarren verkauft das Unternehmen im Jahr, davon elf Millionen aus eigener Herstellung. Sein Geld verdient das Unternehmen aber vor allem mit dem verbleibenden Zwölftel, nämlich mit Importzigarren, die laut Wörmann knapp die Hälfte des Deckungsbeitrags erwirtschaften. In einem Klimaraum lagern Kostbarkeiten aus der Karibik und von den Kanarischen Inseln im Wert von mindestens einer Million Euro. Zu gewisser Berühmtheit gelangte dabei die "José Benito" aus der Dominikanischen Republik, die bei Popstar Madonna erste Wahl ist. 240000 Stück hat Wörmann, der die Exklusivrechte für Europa an der Marke hält, davon im vergangenen Jahr verkauft und liegt damit nach eigenen Angaben auf Platz drei unter den Longfillern in Deutschland. Bald zeigt das Unternehmen in der Dominikanischen Republik Präsenz: Wörmann eröffnet dort einen Standort, um von den niedrigen Lohnkosten zu profitieren und den amerikanischen Markt zollfrei bearbeiten zu können. Dabei handele es sich um einen "Versuchsballon", eine komplette Verlagerung der Produktion komme nicht in Frage: "Ich kann doch nicht 40 Leute auf die Straße setzen", weist Wörmann solche Ideen entrüstet zurück.

Mit ganz anderen Problemen schlägt sich Arnold-André-Geschäftsführer Hans van den Berg in den ersten Stunden eines jeden Arbeitstages herum. Er ist nämlich nicht nur Geschäftsführer des mit Abstand größten der Bünder Zigarrenunternehmen, er ist ehrenamtlich auch noch Präsident des europäischen Zigarrenverbandes. "Jeden Morgen verbringe ich zwei Stunden damit, neue Gesetzesvorhaben der EU zu lesen", sagt van den Berg. Der Holländer hat viele Jahre in der Konsumgüterbranche - unter anderem bei Mars, Dr. Oetker und General Biscuit - verbracht, bevor es ihn nach Bünde und zur Zigarre verschlug. Dieser Hintergrund paßt gut zum Produktangebot von André. Im Gegensatz zu Schuster und Wörmann stehen Konsumprodukte, also preiswerte Zigarren mit HTL-Deckblatt, hier seit je im Mittelpunkt des Geschäfts. Markenprodukte sowie Mechanisierung und Rationalisierung der Produktion waren und sind seit den fünfziger Jahren die Säulen, auf denen die Unternehmensstrategie ruhte. Dabei verfügt André, seit 1851 in Bünde, über Markenartikel, die auch oder vielleicht sogar gerade außerhalb des Kreises der "Afficionados", also der Zigarrenkenner, bekannt sein dürften: "Handelsgold" etwa, die Kanzlerzigarre der Wirtschaftswunderjahre - heute hat die deutlich teurere kubanische Cohiba jene Funktion -, oder die "Tropenschatz", von der laut van den Berg im vergangenen Jahr sage und schreibe 38 Millionen Stück, Tendenz steigend, verkauft wurden. Seit 1973 produziert André Zigarillos der Marke "Clubmaster". Gerade der Absatz dieser Kleinformate, über die Zigarrenkenner gerne die Nase rümpfen, zeigt starkes Wachstum. "Aromatisierte Zigarillos sind für die Umgebung des Rauchers angenehm und werden auch von Frauen geraucht", beschreibt van den Berg die Vorteile der kleinen Formate. Ansonsten sei die Zigarre "eine der letzten männlichen Bastionen". Mit der "Independence" versucht André seit einigen Jahren, jüngere Kunden zu gewinnen. Die Zigarre war seinerzeit die erste, die auch über Tankstellen vertrieben wurde. "Am Vatertag, an Abiturterminen und zu Silvester verkaufen wir davon besonders viele", sagt van den Berg. Daneben importiert das Unternehmen Longfiller aus der Karibik.

André ist hinter Dannemann mit einem Marktanteil von rund 30 Prozent die Nummer zwei im deutschen Zigarrenmarkt. Obwohl verglichen mit seinen Bünder Wettbewerbern Wörmann und Schuster ein Riese, ist auch André im Vergleich zu seiner früheren Größe ein Zwerg: In der Spitze im Jahr 1959 waren rund 6250 Mitarbeiter, davon rund die Hälfte Heimarbeiter, bei dem Unternehmen beschäftigt, heute sind es noch rund 425 in Deutschland. In Bünde ist mittlerweile nur noch die Konfektionierung und Verwaltung angesiedelt, die Zigarrenproduktion hat André 1993 nach Königslutter nahe Braunschweig verlegt. Den Umsatz beziffert van den Berg auf rund 75 Millionen Euro (ohne Tabaksteuer).

    EU-Verbraucherschutz ante portas

Eigentlich lebt es sich in der Nische Zigarre für alle drei Unternehmen recht behaglich, natürliche Feinde gibt es nicht. Auf harten Wettbewerb zwischen den Bünder Zigarrenmachern weist nämlich nichts hin. "Die Großen brauchen die Kleinen, um ihr Sortiment mit hochwertigen 100-Prozent-Tabak-Produkten abzurunden", sagt etwa Wörmann. Nun bedroht jedoch ein Gegner von außen die friedliche (Ko-)Existenz der Zigarrenmacher: die EU. Ein Dorn im Auge sind den Zigarrenunternehmen die verschiedenen Vorstöße aus Brüssel, zum Beispiel das Werbeverbot für Tabakwaren. Zwar sind Unternehmen wie Schuster und Wörmann hiervon nicht unmittelbar betroffen - schließlich spielt klassische Werbung bei ihnen eine nur sehr geringe Rolle -, indirekt aber schon: "Für das Geld, das die Zigarettenhersteller nicht mehr für Werbung ausgeben dürfen, kaufen sie Regalfläche im Einzelhandel", sagt Schuster. Mit der Folge, daß Zigarren und Zigarillos buchstäblich in die Ecke gedrängt werden. André-Geschäftsführer van den Berg lacht, als er die Halle präsentiert, in der Paletten über Paletten mit Warnhinweis-Aufklebern gelagert werden. Wirklich lustig findet er das Thema aber nicht: "Wir sind hiervon weitaus stärker betroffen als die Zigarettenindustrie", sagt der Holländer. Schließlich gebe es Zigarren und ihre Packungen in allen möglichen Formaten, also müsse man auch entsprechend viele verschiedene Aufkleber produzieren und lagern. Noch schlimmer seien jedoch Pläne, nach denen die Zigarrenhersteller bald den Nachweis für die Inhaltsstoffe ihrer Produkte erbringen sollen. "Wenn das tatsächlich kommt, können wir dichtmachen", sagt Schuster. Eine solche Prüfung koste rund 100000 Euro je Produkt. Bei einem Jahresumsatz zwischen 3,5 und 4 Millionen Euro bei Schuster und Wörmann und jeweils rund 400 verschiedenen Artikeln fällt es nicht schwer, sich die Folgen einer solchen Vorschrift auszurechnen.

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